Montag, 2. März 2015

Halbzeit

Nun ist es schon ein halbes Jahr her, dass ich meine sieben Sachen gepackt habe, Familie und Freunden tschüss gesagt habe und in den Flieger gestiegen bin, um in einem fremden Land, auf  einem anderen Kontinent nicht nur zu arbeiten, sondern auch zu leben.

Angekommen bin ich also vor genau sechs Monaten minus sieben Tagen.
In Essaouira eingetroffen, war ich die erste Zeit zugegebenermaßen ein kleines bisschen eingeschüchtert. 3.254km von Zuhause entfernt, in einem Land, von dem ich zu diesem Zeitpunkt nichts wusste und dessen Sprache ich nicht ansatzweise beherrschte, was für mich ein ganz neues Gefühl war. Da fühlt man sich schnell unsicher und tollpatschig.
Wenn ich jetzt zurückblicke, muss ich darüber lachen, dass ich mich in der ersten Woche, in der Angst, ich könnte mich verlaufen, nicht ohne mindestens eine/n meiner Mitfreiwilligen aus dem Haus traute. Mittlerweile ist es sogar so, dass ich manchmal denke:" ein bisschen größer könnte die Stadt doch sein." Aber das ist auch nur jammern auf höchstem Niveau. Denn ansonsten geht es mir hier sehr, sehr gut.
Ich habe mich verliebt und meine neue Liebe trägt den Namen "Essaouira".
(Oh, das wird an dieser Stelle dann doch zu poetisch und kitschig.)
Aber mal im Ernst; ich weiß überhaupt nicht, womit ich beginnen soll.
Vielleicht fange ich mit meiner Arbeit an, denn schließlich bin ich ja deswegen hier.
Zugegebenermaßen stellte es sich am Anfang als echte Herausforderung dar, mich in Bayti einzuleben und einen Platz, sowohl bei den Kollegen als auch bei den Kindern zu finden. Auf diesem Platz sitze ich nun fest drauf und lasse ihn mir nicht mehr nehmen; von wegen "weggegangen, Platz vergangen". Ich weiß jetzt, dass ich jeder Zeit zurückkehren kann und herzlich aufgenommen werde. Die Kinder freuen sich, wenn ich morgens auf die Arbeit komme oder wenn sie mich zufällig in der Stadt antreffen und meine Kollegen machen sich jetzt sogar einen Spaß daraus, mich ab und zu auf den Arm zu nehmen.
Außerdem muss ich erwähnen, dass die Arbeit im letzten Monat auch wirklich interessant geworden ist, da ich jetzt zwei mal pro Woche mit unserer Sozialassistentin auf Familienbesuche gehe. Und es ist schon etwas Besonderes, zu sehen, wie die Kinder und deren Familien leben.

Neben "Bayti", meinem Arbeitsplatz, verbringe ich die meiste Zeit wohl im Surfclub, welcher sich wirklich zu meinem absoluten Lieblingsplatz etabliert hat.
Wenn ich nicht mindestens zwei mal die Woche dort gewesen bin, muss irgendetwas schief gelaufen sein. Meistens findet man mich Samstags und Sonntags dort, da ich die restliche Woche arbeite und deswegen nicht die Zeit finde, mich dort blicken zu lassen (außer ich gehe in meiner Mittagspause joggen, denn dann lasse ich meine Sachen dort, gehe joggen, hüpfe anschließend kurz ins Meer, vorausgesetzt ich habe noch genug Zeit, lege ein kurzes Schwätzchen mit den Leuten ein und düse schnell nach Hause, um zu duschen und wieder rechtzeitig auf derArbeit zu erscheinen).
Am Wochenende allerdings, ist mittlerweile gar nicht mehr daran zu denken, nicht dort zu sein.
Mit dem Ziel kiten zu gehen, verschlägt es mich Morgens in den Club.
Ob ich dann wirklich kite, ist allerdings vom Wind abhängig. Da die Windsaison jedoch erst im Frühling, also ungefähr jetzt, anfängt (im Februar von Frühling zu reden, cool oder?), kam es häufiger vor, dass noch nicht einmal eine leichte Brise zu vernehmen war, die ausreichend gewesen wäre, um auf's Board zu steigen. Aber...auch nicht schlimm!
Denn für diesen Fall bin ich mittlerweile bestens vorbereitet. Wenn ich heute meinen Rucksack packe, kommen da nicht nur ein Handtuch und Wechselwäsche rein, nein, auch Sportsachen, zum Joggen, meine Arabischhefte, zum Lernen, manchmal mein Laptop, um zu skypen oder zu arbeiten und mein Ipod, um zu entspannen. Und so sitze ich dort Stunde für Stunde, lerne vor mich hin und sonne mich. Mit den Surfern, die nun viel mehr Freunde, als Lehrer sind, zu lachen und sich aus einem Englisch- Französisch- Arabisch- Mix zu unterhalten, ist jedes mal eine äußerst amüsante Angelegenheit, vorallem dann, wenn man dafür ausgelacht wird, dass man sich an seinem Arabisch versucht hat, nur leider bei dem Gegenüberstehenden nichts Verständliches angekommen ist. Zusammengefasst genieße ich die Zeit dort immer sehr und freue mich jeden Freitag auf's Neue, in mein Wochenende starten zu können, weil ich weiß, dass ich einen Großteil davon wider im Surfclub am Strand verbringen werde.
Klar, zwischendrin komme ich auch zum Kiten, wo ich seit letztem Wochenende anschauliche Vortschritte gemacht habe. Und es macht wirklich riesigen Spaß, obwohl ich noch oft, im wahrsten Sinne des Wortes, hinfliege.


Neben dem Surfclub gibt es auch etliche Lieblingsecken meinerseits. Ob es nun der Hafen, das Café mit dem leckeren Eis, das andere Lieblingscafé, der Stand mit dem leckeren Harcha (süßliches, marokkanisches Grießbrot), der Lieblingscrèpestand, das Lederwarengeschäft mit dem sehr nettenVerkäufer oder das vor Kurzem neu entdeckte Frozen- Joghurt- Café in einem meiner zwei Lieblingshöfe, ist. Wenn ich in der Medina bin, führt mein Weg mich immer an mindestens zwei dieser Orte.








 


Aber nicht nur die schönen Orte tragen dazu bei, dass ich mich hier so wohl fühle, auch die neu geknüpften Bekanntschaften und neu gewonnen Freundschaften machen Essaouira zu einem Ort, der für mich ein zweites Zuhause geworden ist.
Und obwohl ich noch weitere sechs Monate hier verbringen darf, hab ich schon jetzt Angst vor dem Abschied, da mir dieser, das weiß ich schon jetzt, wirklich schwerfallen wird.




Meine Lieben,
Ihr seht, mir geht es hier ausgesprochen gut.
Das alles soll jedoch nicht bedeuten, dass ich Deutschland vergessen hätte oder nicht zurück wollen würde, versteht mich nicht falsch.
Jedoch ist es nun mal so, dass ich in Marokko angefangen habe, wirklich selbstständig zu sein und ein eigenes Leben zu führen; ich wohne ohne meine Familie, aber dafür mit einer sehr liebenswerten Mitbewohnerin, Mirjam, die ein weiterer Grund dafür ist, dass es mir hier so gut geht, in einer sehr schönen Wohnung, ich arbeite, ich kaufe ein, ich putze, ich wasche (es ist  nicht so, als hätte ich das in Deutschland nicht auch schon gemacht, aber auch nicht alles, sondern nur einen Bruchteil davon) und ich achte darauf, rechtzeitig Miete zu bezahlen (was anscheinend klappt, da sich bis jetzt noch niemand beschwert hat).
Deswegen fühle ich mich nach sechs Monaten hin und her gerissen. Und warum? Weil ich jetzt das Gefühl habe, zwei Orte zu kennen, die den Namen "mein Zuhause" tragen.

"Souiri Girls"

Aber jetzt mal Schluss mit dieser Gefühlsduselei!
Ich verspreche, mal wieder öfter von mir hören zu lassen; bis dahin
Peace out!



Liebste Grüße,
Belize

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